Lyrik

Eine der folgenschwersten Begegnungen in meinem Leben war wohl die mit Felix Janosa. 1978 hatten unsere beiden Elternpaare wohl die gleiche Idee und schickten uns auf „Sprachferien“, nach England. Als Schüler, noch nicht automobil, pflegten wir unseren Kontakt über die folgenden Jahre brieflich. Und irgendwie gerieten immer gereimte Zeilen dazwischen. Und auch die Ansichtskarten aus dem Urlaub (falls das noch jemand kennt) wurden immer nur in Reimen abgefasst. Und so entstand eine Gedichtsammlung der eigenen Art. Felix machte diesen Schatz dann mehr oder weniger zur Grundlage seines Berufs: Er schrieb kabarettistische Songs, die er am Klavier vortrug. Stark beeinflusst von dem Amerikaner Tom Lehrer.

Wir reimten drauf los. Das Studium von Steputat’s „Reimlexikon“ zeigte uns, wo Marius Müller-Westernhagen seine Pfefferminz-Prinz-Kombination herhatte. Das sollte doch besser gehen. So verfassten wir Gedichte um des Reimens willen. Bis hin zu „Gebrauchslyrik“: einer Anleitung zum Kaffeemaschine-Entkalken (sieh dort).
 
Apropos Tom Lehrer: Dessen Werk nahmen wir uns vor und schufen die eine oder andere kongeniale Übersetzung, immer streng auf Metrum und „saubere“ Reime bedacht. Ich nahm mir den Song „The Elements“ vor, dessen Text praktisch nur aus sämtlichen Namen der chemischen Elemente besteht. Als Vorlage genügt Siebers Standardwerk: „Mathematische Tafeln und Formelsammlung“. Nur konnte ich mich an die betreffende Melodie nicht erinnern. (Die ist allerdings auch etwas einfallslos.)
 
Also sortierte ich das Periodensystem nach Länge und Betonung und textete auf – Offenbachs „Cancan“. Den hatte ich im Ohr. Und dann musste ich Felix den Cancan abschließend ins Klavier diktieren. Noten hatten wir nicht zur Hand, also sang ich ihm den „Cancan des elements“ vor, er spielte dazu nach Gehör, wurde gelegentlich von mir korrigiert und schrieb das Ganze dann in Notenschrift nieder. Die Nummer ist heute noch ein Renner. Ich dränge zwar schon immer darauf, endlich auch die Elemente 105 bis 118 mit einzubauen (die zur Zeit der ersten Übersetzung noch nicht entdeckt waren), aber dann müsste ja der Text neu geübt werden… …und ja, ich weiß, das Kurtschatovium seit langer Zeit Rutherfordium heißt. Aber auch dieses Detail stieß bei Felix nur auf taube Ohren.
 
Und in Person von Sir Martyn Poliakoff fand das Œuvre sogar die Anerkennung der Fachwelt. Sir  Martyn ist Professor für Chemie an der University of Nottingham (UK) und ein ziemlich bekannter YouTuber (siehe: „Periodic Table of Videos“). Sir Martyn und seiner Crew ist die Reihe „Periodic Portraits“ gewidmet.
 
Wie dem auch wolle, ich habe den begründeten Verdacht, dass Felix niemals einen Fetzen Papier entsorgt hat, der irgendetwas Schriftliches von mir oder ihm (und einigen anderen Freunden) aufwies. Nur so war es zu erklären, dass ich zum Geburtstag 1991 ein Buch geschenkt bekam: „Mühr – Werke – Band I“ Meine Freunde hatten jeden kleinsten, noch so dämlichen Ein- und Ausfall zusammengetragen, säuberlich abgetippt und in ein Buch binden lassen. (Ein Buchbinder ist auch unter den Freunden.) Einiges von dem, was nun folgt, entstammt dieser Sammlung.
 
 

Kalk

 
Den Einfluss, den z. B. die Lektüre von „Welt im Spiegel“ (Rubrik in der Satirezeitschrift „pardon“, 1964 – 1976, Autoren F. K. Waechter, F. W. Bernstein und Robert Gernhardt) auf mich nahm, kann und will ich nicht verleugnen. Durch die dort gelegentlich erscheinenden Verse inspiriert, versuchte ich mich ebenfalls im Dichten. „Kalk“ ist ein Stück echter Gebrauchslyrik. Im Beipackzettel müsste etwas stehen wie: „ …die trockene technische Beschreibung herkömmlicher Gebrauchsanleitungen gehört der Vergangenheit an…“
 

Kalk in der Kaffeemaschine?
Ziehen Sie doch keine Miene!
Seien Sie nicht sauer, nein!
Sauer soll das Wasser sein,
das Sie in die Maschine geben,
wo die Kalkrückstände kleben.
Um die vielen, kleinen, bösen
Kalkrückstände aufzulösen,
wird Acidum tartaricum
(Weinsteinsäure) kräftig um-
gerührt in einem Liter Nass.
Dies ist nun so sauer, dass
es den Kalk zerfressen kann,
welcher sich, im Anschluss dann,
in der Kaffeekanne findet,
bis im Ausguss er verschwindet.
Führn Sie dies zwei-, dreimal aus,
dann sind auch die Reste raus.
Anschließend mit H2O
nachgespült, damit uns so
nichts, was nicht dorthin gehört
das Kaffeearoma stört.

Die Sache mit der Weinsteinsäure
ist an sich auch keine teure
Methode der Entkalkerei.
Es wird das Zeug ganz sicher bei
Ihrem Apotheker stehn.
Fünfzig Gramm Drei Euro zehn.

 

 

Der Rechenschieber

 
Das müsste so um 1980 entstanden sein. Damals gab es schon Taschenrechner, aber der Rechenschieber faszinierte mich, als ich mal einen in die Hand bekam. Und ich lernte und übte den Umgang damit. (Ähnlich ging es mir mit dem Abakus, den ich gerne zum „stilechten“ Errechnen der Punkte beim Mah-Jongg-Spiel benutzte. Der „Herausgeber“ meiner „Werke – Band I“ zieh mich darob in einer Fußnote „einer Vorliebe für zirzensische Effekte“.)

Mir ist mein alter Rechenschieber
noch dreikommaeinsviermal lieber
als ein Apparat, ein blechner
blöder Elektronenrechner.

Ich zieh auch vor dem Abakus
den Schieber. Oder aber muss
ich sagen: „Schiebe vor ihn dem,
der mir so unangenehm.“?

Äquivalent oder gleichviel;
∞ * führ ich fort das Spiel:
Ich frage mich den ganzen Tag,
weshalb ich Schieber lieber mag.

Ich trage keine Schiebermütze,
obwohl ich fast mit Fieber schwitze,
um die Fakten zu ergründen
die mich an den Schieber binden.

Bis heute gilt mir allenfalls:
Der Schieber ist ≥ **
der Abakus und der Computer.
Doch eine Frage lassen tut er,
darauf fehlt noch die Antwort mir:
Warum grad dreikommaeinsvier?

______________
*lies: unendlich
** lies: gleich größer als
 
 

Cancan des elements

 
An der Kontroverse um die Namensgebung des damals jüngsten Elementes kann der Chemie-Historiker ablesen, dass es zwischen 1964 und 1997 entstanden sein muss. Genauer: Zwischen 1967 und 1970 bereits wurde Dubnium entdeckt, dass jedoch keinen Eingang in den Text fand. Wir stellen also fest, dass meine Ausgabe von „Sieber: Mathematische Tafeln und Formelsammlung“ gegen Ende der 1960er Jahre Redaktionsschluss hatte. Zitat aus Tom Lehrers „The Elements“:  
 
„These are the only ones of which the news has come to Harvard /
And there may be many others but they haven’t been discovered//”
 
Über die Entstehung dieses Stückes schrieb ich bereits oben. Die Möglichkeit, mit diesem Song die Unterrichtsfächer Chemie und Musik gleichzeitig abhalten zu können, wurde leider nie wirklich in Betracht gezogen.

 

Koooo-balt! Kurtschatovium, Zinn,
Argon, Eisen Silber, Californium.

Lanthan, Francium, Erbi-
um, Blei! Gadolinium, Zink,
Radon, Schwefel, Wismut, Mendelevium.
Praseodym.

Molybdän, Actinium, Einsteinium, Berkelium,
Scandium, Dysprosium, Europium, Beryllium,
Neon, Aluminium, Nobelium, Germanium,
Nickel, Americium, Neptunium, Lutetium.
 
Chrom, Chlor, Brom, Bor.
Antimon, Magnesium.
Jod, Gold, Phosphor.
Astatin, Lawrencium.
 
Kalium und Kalzium und Thorium und Thulium.
Helium und Holmium, Terbium und Thallium.
Sauerstoff und Wasserstoff und Rhenium und Rhodium.
Stickstoff und auch Kohlenstoff und Radium und Tee mit Rum.
 
Krypton, Kupfer.
Osmium, Plutonium.
Titan, Tantal.
Quecksilber, Polonium. (Schreiben Sie auch mit?)
 
Uuuu-ran! Tellur, Niob, Xenon,
Pottrum, Tobler-O-Rum, Protactinium.

Iridium, Zirkoni-
um. Fluor! Natrium, Selen, Cer,
Indium, Arsen, Mangan, Palladium.
Samarium.
 
Kadmium, Silizium, Technetium und Barium.
Wolfram, Platin, Caesium,
und Vanadin und Lithium.
Neodym, Promethium, Rubidium und Strontium,
Curium, Ytterbium, Ruthenium und Yttrium.
 
Vademecum!
Gallium und Hafnium.
Strohdumm, taubstumm.
Fermium, warum denn hintenrum, Aquarium,
Präteritum,
ein Unikum, im Kambrium. Gummi – arabicum!

 

Ramses III

 
Auch ein Beispiel dafür, wie man einen Kalauer breittreten kann.


Ramses klettert auf die Sphinx,

schnallt sich um ein seltsam Dings.
Das sieht aus, ist nur was breiter
wie ein moderner Delta-Gleiter.
Ramses springt nun in die Tiefe
und mir ist als ob er riefe:
„Seht, ich schwebe durch die Luft,
Fliege rund um meine Gruft!“
Langsam sinkt er schließich nieder
und die Wüste hat ihn wieder.
Fellachen rufen „Tally-ho!“
Das war der Flug des Pharao.

 

Sturmschäden


Der Sturm hat sich nun ausgeheult.
Mein Autodach wird ausgebeult.
Den Baum hab ich schon fast zersägt,
den mir der Wind ins Beet gelegt.
Mit der Zeit wird alles heil.
Nur der Opa hat sein Teil.
Ein Ziegel fiel ihm auf die Glatze.
Bumms. Requiescat in pace.

 

Die Dogge

 
Erstmals abgedruckt in „Mühr – Werke – Band I“. Felix Janosa vertonte es und brachte dieses Konglomerat dann im „Radio Schrottland“ unter, in der Folge „Tiere“. Ich meine mich zu erinnern, dass es auch in einem der Ritter-Rost-Computerspiele vorkam.


Samstagabend, Badezeit,

auch die Dogge steht bereit.
Noch sinnt Herrchen auf die List,
wie Dogge zu bewegen ist.
Man lockt mit Wurst und Hundekuchen,
doch Dogge will das Weite suchen.
Kurz angeleint, man spricht noch zu,
sekundenlang gibt Dogge Ruh‘,
bis sich des Bades Türe schließt
und Dogge quer durchs Zimmer schießt,
durchs Fenster zu entkommen sucht,
und Herrchen auf die Dogge flucht.
Schnell in der Wanne festgezurrt,
die Dogge, hilflos, leise knurrt.
Die Brause spendet heißes Wasser,
zusehends wird die Dogge nasser,
Shampoo auf Herrchens Hose schwappt,
nach seiner Hand die Dogge schnappt,
was in die Hand ‘ne Wunde reißt.
Die Dogge in die Wanne scheißt,
und Herrchen kriegt die Hand verbunden.
Die Dogge hat sich losgewunden.
Die Jagd wird wieder aufgenommen,
doch Dogge hat den Schrank erklommen,
der daraufhin zusammenkracht,
und Dogge aus dem Staub sich macht.
Das Herrchen hechtet hinterher,
doch Dogge fängt er – nimmermehr,
denn pudelnass wie eh und je,
liegt Dogge auf dem Kanapee.

 
 

Ein kleines Hexenlied

 
Freihändiger Schnellschuss für die Ritter-Rost-Vorratskiste, von Felix vertont. Die Inspiration lieferte der französische Comiczeichner Gotlib (Marcel Gotlieb, 1934 – 2016). In seiner Reihe „Auf Knall und Fall“ (um 1977) gibt es die kurze Story über eine Fee, die das Examen ablegen soll…

Ich bin so klein und nicht sehr böse.

Ich mische Zaubertrank mit Froschgekröse,
Mit Schlangengift und Echsenbein,
Ich will eine große böse Hexe sein.

Wieder ist ein Jahr herum,
Ich trete vor das Podium
Der Prüfungskommission.
Die Hexenmeister warten schon.

Eine Hecke, die hundert Jahre wächst,
Die will mir nicht gelingen, wie verhext!
Was ich gezaubert habe, könnten Buschwindröschen sein,
Aber so, wie die hier aussehen, geh´n die nächste Woche ein.

Die Hexenmeister schütteln nur ihr weißes Haar:
„Auf Wiederseh´n und viel Erfolg im nächsten Jahr.“

Ich bin so klein…

Wieder ist ein Jahr herum,
Ich trete vor das Podium
Der Prüfungskommission.
Die Hexenmeister warten schon.

Hallo Kinder, ach kommt ins Hexenhaus,
Doch leider sieht mein Haus nicht knusprig aus
Die schwarze Katze, die auf meiner linken Schulter hockt,
Die ist leider nur ein weißer Hase, ach ich hab´s verbockt!

Die Hexenmeister schütteln nur ihr weißes Haar:
„Auf Wiederseh´n und viel Erfolg im nächsten Jahr.“

Ich bin so klein…

Wieder ist ein Jahr herum,
Ich trete vor das Podium
Der Prüfungskommission.
Die Hexenmeister warten schon.

Mit dem Besen, der Trick, der klappt bestimmt!
Doch schreck! Der Besen sich den Eimer nimmt
Und walle, walle, manche Strecke, es ergießt sich schon
Lauter Wasser auf die ganze Hexenprüfungskommission

Die Hexenmeister schütteln nur ihr nasses Haar:
„Ach bitte, komm´n sie nicht mehr wieder nächstes Jahr!“

Ich bin so klein!